In Locarno am Lago Maggiore befindet sich der größte Kamelien-Garten außerhalb Japans, der Parco delle Camelie. Die in Ostasien heimische Zierpflanze gehört ursprünglich zur Familie der Teestrauchgewächse und zeichnet sich durch üppige, sinnlich anmutende nahezu kreisrunde Blüten vor dunkelgrünem Laub aus. Strahlendes Weiß bis zartes Rosa dominieren die Palette der Farbvarianten, dazu gibt es Sorten in sattem Rot und in geäderten koloristischen Kombinationen. Keine Blume hat es zu derart weitreichender literarischer Bedeutung gebracht wie die Kamelie; ihre Konnotation mit Erotik und Sinnlichkeit ließen sie – obwohl keine klassische Schnittblume – zum Symbol der Dame aux Camélias, Verdis Traviata, werden, der kein Verehrer eine andere Blume überreichen durfte, als Kamelien. Anders als in Marcel Prousts Symbol der Cattleya-Orchidee für seine Kurtisane Odette, steht die Kamelie als Blume von Verdis Violetta für die Kombination aus Erotik und Reinheit, aus Sinnlichkeit und Zartheit.
Der Fotograf Norbert Kopf nahm sich dieser Fragilität der Kamelie und ihrer sinnlich erfahrbaren Präsenz an. Nicht nur in der vollen Pracht der Blüte, auch in der keimenden Kraft der Knospe sieht er das Faszinosum und die Energie ihrer Erscheinung, ebenso wie im Vergehen der Blüte, in der Regenschwere der Blätter, in der Dichte des strauchartigen Wuchses. Norbert Kopf ist ein Naturfotograf, der den Gewächsen vor seiner Kamera ihre Charakteristik lässt und sie – je nach Art und Form – in seinen Bildern nachzeichnet: mit einer subtilen Lichtregie, minutiöser Herausarbeitung der Strukturen und dem Gefühl für die visuelle Präsenz seiner Motive.
Margit Zuckriegl